Journal ARS 27 (1994) 1

Jozef MEDVECKÝ

Speculum Justificationis. Thurzov oltár z roku 1611 a jeho protestantská ikonografia
[Speculum Justificationis. Der Altar des Grafs Thurzo aus dem Jahre 1611 und seine protestantische Ikonographie]
[Speculum Justificationis. The Altar of Count Thurzo from 1611 and Its Protestant Iconography]

(Summary)

Graf Georg Thurzo von Bethlenfalva (1567 - 1616), der Erbobergespan des Oravaer Komitats, war einer der reichsten Magnate in damaligen Ungarn. Im Jugendalter hat er an den Kämpfen gegen den Türken teilgenommen, seit dem Jahr 1598 wurde er zum Hofrat des Kaisers Rudolf II. Nach der Beendigung der Militärkarriere hat er sich weitere Verdienste besonders mittels seiner diplomatischen Aktivität im Interesse des Habsburger Hofes erworben. Er hat seine Stellung des prominenten Magnaten des Landes in der Gesellschaft bedeutend befestigt, als er im Jahre 1609 zum Palatin von Ungarn und Vizekönig wurde.

Zu Thurzos öffentlichen Funktionen hat auch der universale Überblick gehört. Außer den weitverzweigten Familienverbindungen und personellen Kontakten, die er bei den diplomatischen Reisen im Ausland angeknüpft hat, stand er auch in dem Schriftverkehr mit vielen bedeutenden Persönlichkeiten der Politik und Intelligenz (Jakob König von England, Kurfürst Johann Georg I. von Sachsen, Karl d. Ä. von Zerotin u. v. a.). Es hat sich auch seine Korrespondenz mit den Professoren der Wittenberger Universität, des Zentrums der lutherischen Reformation, aufbewahrt, wo er die begabten Jünglinge zur Akademiestudien schickte (in Wittenberg hat auch sein einziger Sohn Emmerich studiert, der im Jahre 1615 zum Rektor der Universität erwählt wurde).

Bedeutend war auch Palatins Tätigkeit als Mäzene, wobei er vor allem das Literaturschaffen und den Buchdruck, das Herausgeben der Originalwerken sowie Übersetzungen der ausländischen Autoren unterstützte. Wie der Magnat mit der humanistischen Ausbildung besaß er eine reiche Bibliothek, wo er außer Werken des überwiegend religiösen und literarischen Charakters auch die Arbeiten aus dem Gebiet des Rechts, der Medizin und den Naturwissenschaften aufbewahrt hat. Sein Hof auf dem Schloss zu Bytča hat zu den bedeutendsten Kultur- und Ausbildungszentren in damaligen Ungarn gehört.

Dominant war auch Thurzos tiefe Frömmigkeit. Als der eifrige Anhänger der Reformation hat er sich aktiv in damaligen Konfessionsstreiten engagiert. Er hat sich für die Einigung der Reformkirche in Ungarn bestrebt und ihre orthodoxe Orientierung der lutherischen Richtung durchgesetzt. Sein Bestreben war mit der Synode in Žilina im Jahre 1610 vollendet, deren Schlussfolgerungen zu bedeutungsvollem Grenzpunkt wurden, als die evangelische Kirche der Augsburgischen Konfession auch bei uns organisatorisch konstituiert und von dem Machtbereich der katholischen Bischöfen und kirchlichen Instanzen unabhängig wurde. Der erste evangelische Superintendant war Thurzos Hofprediger und Beichtvater, der Bytčaer Pfarrer Eliáš Láni (1570 - 1618), der ein erudierter Theologe war (es sind auch seine slowakischen Verse bekannt).

Das Zentrum der Güter der Familie Thurzo und Palatins Sitz war das Renaissanceschloss von Bytča, das Franz Thurzo in Jahren 1571 - 1574 aufrichten ließ. Georg Thurzo hat das Werk seines Vaters fortgesetzt und im Jahre 1601 ließ er in dem Areal von Bytča den sog. Traupalast bauen und dekorieren. Nachdem er im Jahre 1606 auch die Burg Orava in das Erbgut gewonnen hat, ist er zu ihrem umfangreichen Umbau zugetreten. Der Burgpalast wurde zur luxuriösen und komfortablen Adelsresidenz umgebaut und die kostspieligen Adaptierungen wurden mit dem Bau der neuen Schlosskapelle gekrönt.

Die Dominante der Kapelle stellte etwa 10 Meter hoher Holzaltar aus dem Jahre 1611 vor, dessen neun Bilder im Einklang mit Thurzos protestantischer Orientierung in der synthetischen Form die Grundprinzipien der Lutherschen Lehre von der Rechtfertigung des Sünders ausdrücken. Außer der Repräsentation des Donators stellte der Altar gleichzeitig auch seine "bildliche Glaubensbekenntnis" dar. (Thurzos Erben, die schon zum Katholizismus konvertiert sind, haben den Altar im 18. Jh. der evangelischen Adelsfamilie Justh nach Necpaly im Komitat Turiec geschenkt, wo er bis heute in der Kirche aufbewahrt wird.).

Der Altar als Gesamtheit präsentiert das einheitliche Vorhaben, das mit dem Auswahl des Themas der Auftraggeber festgelegt hat. Autor seines Ideenprogramms musste aber irgendwelcher hochgelehrte protestantische Theologe sein.

Das Thema des Altars "Speculum Justificationis" drückt eine der grundsätzlichen Fragen der Lutherschen Interpretation der Heiligen Schrift und den Grundartikel der evangelischen Theologie aus, die seit den Reformationsanfängen (vgl. der IV. Artikel "Von der Rechtfertigung" des Confesio Augustana aus dem Jahre 1530) frekventiert wurde. Auch später ist sie aktuell geblieben, wovon die Werke der vielen Theologen zeugen, die sich mit ihr in Disputen, Universitätsthesen, Predigten, usw. beschäftigt haben. Nach dem Katalog aus dem Jahre 1610 hat auch Georg Thurzo mehrere Buchausgaben der mit der Rechtfertigungsfrage zusammenhängenden Werke in seiner Bibliothek gehabt, keine von ihnen aber blieb aufbewahrt. Der unmittelbare Zusammenhang einer der konkreten, dieser Problematik gewidmeten Schrifte, mit der Art ihrer Äußerung im Hauptbild des Thurzo-Altars konnte bisher nicht festgestellt sein.

Es ist fast unmöglich, den Programm des Altars ohne die Identifizierung der konkreten schriftlichen Quelle vollständig zu entschiffern. Seine komplexe Rekonstruktion bleibt darum als Aufgabe für die folgenden Forschungen. Unser Beitrag soll ein Versuch der Analyse seiner einzelnen Komponenten auf Grund der heutigen Kenntnisse der zeitgemäßen Problematik und der Identifizierung mindestens annähernden Sinnes der dargestellten Motive sein. Er will auf diese Weise zur Eingliederung dieses außergewöhnlichen Werkes in den Kontext aus der kulturgeschichtlichen, kirchlichen und künstlerischen Hinsicht.

Fach- und Topographieliteratur erwähnt den Altar in Necpaly als kultur- historisches Werk, bedeutend vom Gesichtspunkt der Schlüsselstellung der Persönlichkeit des Auftraggebers, als bei uns vereinzeltes Beispiel anspruchsvolleren, protestantisch ausgeprägter Ikonographie, und als der authentische Beleg der künstlerischen Entwicklung am Anfang des 17. Jahrhunderts. Die Bibliographie zum Altar ist relativ umfangreich; keiner der Forscher hat sich mit ihm aber ausführlicher beschäftigt. Die älteren Beschreibungen sind nicht vollständig und seine Ikonographie wurde bisher nicht bearbeitet. Der Altar setzt sich aus dem architektonisch gegliederten dreiteiligen Retabel mit der Predella und dem Aufsatz, der auf der Altarmensa hingestellt ist. Der ganze mittlere Teil des Hauptbildes ist auf den Seiten mit Säulen von den schmaleren festen Altarflügeln getrennt. Auf beiden Seitenflügeln befinden sich je zwei Gemälde ein unter dem anderen (Prophet Jonas und Samson, Sündenfall und Gekreuzigte Christus), mit entsprechenden Bibelzitaten in den Aufschriftrahmen gewechselt. In der Mitte der Predella befindet sich das Gemälde "Das Abendmahl" mit zwei kleineren alttestamentarischen Szenen auf beiden Seiten. Im Giebel ist das Aufsatz mit dem Gemälde "Jüngstes Gericht" und mit zwei Familienwappen auf den Seiten (die vom Graf Georgius Thurzo und seiner Gemahlin Elisabeth, geborene Czobor de Szent-Mihály).

In dem Altarganzen dominiert die Malerkomponente und die Inskriptionen; die Holzschnitzerdekoration ist auf zwei Statuenpaare im Giebel und die Reliefornamentik mit Maskaronen auf den Knäufen und Säulenschaften der Säule (für die Porträts des Palatins, seiner Gemahlin, ihrer Söhne und 6 Töchter gehalten) reduziert. Die kleineren Bilder stellen die eindeutig festgelegten biblischen, in der Kunst des 16. und 17. Jahrhunderts üblichen Themen dar. Charakteristisch ist auch ihre Bezeichnung mit den entsprechenden Zitaten, mit denen sie in den Intentionen der protestantischen Kunst eine Bedeutungseinheit bilden.

Der ikonographische Schwerpunkt wird aber von dem zentralen umfangreichen Bild (380 x 260 cm) gebildet, oben mit der bezeichnenden Überschrift SPECULUM IUSTIFICATIONIS, der sich seinem Inhalt und seiner Form nach den gebräuchlichen ikonographischen Schemen entzieht und in der zeitgenössischen Kunst keine Analogie findet. In der einzigen Komposition sind hier synthetisch die komplexen Thesen der Lutherschen Interpretation der Lehre von "der Rechtfertigung des Menschen durch den Glauben", d. h. aus der Gnade Gottes, mittels des Glaubens an Christus.

Als Vorbild und eigentlich einige bekannte Bearbeitung dieses Themas gilt hier die berühmte Komposition von Lucas Cranach d. Ä. "Gesetz und Gnade: Die Rechtfertigung des Sünders" aus dem Jahre 1529. Die Abbildung auf dem mittleren Gemälde des Thurzo-Altars unterscheidet sich aber wesentlich von beiden Fassungen (der sog. Gothaer und Prager) der Cranachschen allegorischen Gestaltung dieses Themas. Die lateinischen Aufschriften und biblische Zitaten sind als integraler Bestandteil der Komposition direkt in das Gemälde hineingeschrieben; ihr dogmatischer Inhalt wird mittels der abgebildeten Motive illustrativ wortwörtlich und ohne jede Narrativität weitergegeben. Zur expliziten Äußerung der schwer darzustellenden Begriffe und deren gegenseitigen Beziehungen wird die traditionelle, noch mittelalterliche Diagrammform benutzt. Die figuralen Motive und Aufschriften entwickeln die (in der protestantischen Ikonographie typische) Antithese und die Bedeutungssymetrie der gegenüber abgebildeten Motive: Evangelium und Gesetz, ewiges Leben und Tod, Verzeihung der Sünde und Verdammung, Erlösung durch den Christus Erlösers auf einer und das Gericht mit den Sündern und die Buße auf der anderen Seite, wo die Menschheit durch die Gestalt Adams repräsentiert wird. Die Gegensätzlichkeit der Motive aus dem Alten und Neuen Testament ist auch mittels der Konfigurationen der Symbolfiguren und Motive um den Hl. Johannes d. T. und den Propheten Moses anschaulich ausgedrückt und um vier Rundmedaillons des emblematischen Charakters in den Ecken der Komposition ergänzt.

Autor der Altarbilder ist nicht bekannt. Es ist nötig, ihre Zuerkennung dem Maler J. Khien aus Banská Bystrica, tradiert in der Literatur, auf Grund des Vergleichs mit seinem einzigen aufbewahrten Werk (Bildepitaph in Brezovica aus dem Jahre 1600) als unbegründet zurückzuweisen. Der Malerstil und der Gesamtcharakter der qualitativ besseren, von dem niederländischen Manierismus beeinflussten Altarbilder führen uns zur Voraussetzung, dass der Thurzo-Altar als Gesamtheit auf Thurzos Bestellung in einem der damaligen Kulturzentren entstehen konnte und zu uns nur importiert wurde.

Genau wie die Verfasserschaft der Gemälde, es bleibt bisher auch die Frage des Urhebers des Ideenprogramms des Altars (besonders der Titelabbildung auf seinem Zentralgemälde) offen. Es ist bisher unmöglich, eindeutig festzustellen, ob es einer der gelehrten lutherischen Theologen aus Thurzos Umkreis sein konnte, oder ob sein Prototyp schon früher in einer der entfernten protestantischen Regionen (Sachsen, Prag, bzw. Schlesien?) entstand und im Jahre 1611 als vollendete Vorlage nur übergenommen und aktualisiert wurde. Es ist doch sicher, dass die Komposition des Zentralbildes "Speculum Justificationis" auch in der graphischen Form existieren musste, wie die Illustration zu einer bisher unbekannten theologischen, im Druck veröffentlichten Schrift. Als Beweis dient unsere Feststellung ihrer späteren wörtlichen Benutzung, schon ohne die Aufschrifte - im Tafelbild "Allegorie des christlichen Glaubens", der angeblich erst um das Jahr 1660 in Sachsen entstand (der Bild wurde im Jahre 1945 vernichtet, es hat sich nur seine Photographie aufbewahrt).

Der Thurzo-Altar "Speculum Justificationis" ist das bedeutendste unter den Werken der bildenden Kunst, die auf direkte Bestellung diesen Magnats entstanden. Dank seiner künstlerischen Qualität und ikonographisch anspruchsvollem Programm unterscheidet es sich wesentlich von allen anderen aufbewahrten Malerwerken, die während seines Lebens realisiert wurden. Auch das deutet an, dass es um eine außerordentliche Tat ging, der er sonderbare Bedeutung beigelegt hat.

Die Gemälde des Altars, die stilmäßig zur damals aktuellen manieristischen Ansicht inklinieren, reflektieren die zeitgenössische Situation der Kunst auf der Wende der zwei Stilepochen, trotz der Wirklichkeit, dass seine Zentralkomposition "Speculum Justificationis" das typische Beispiel für ein Werk ist, bei welchem sich die Probleme der künstlerischen Form in den Hintergrund zurückgezogen und dem moralischen Didaktismus den Platz überlassen haben. Die Vereinigung des Wortes im Bild und die Konstruktion solcher komplizierten Allegorien, die sich bemühen, auf synthetische Weise im Rahmen einer Abbildung die hauptsächlichen theologischen Dogmen zum Ausdruck zu bringen, ist aber für die protestantische Kunst dieser Epoche charakteristisch.