Časopis ARS 38 (2005) 2

Bibiana POMFYOVÁ

Liturgický kontext ranostredovekej architektúry
[Der liturgische Kontext der frühmittelalterlichen Sakralarchitektur]
[The Liturgical Context of Early Medieval Sacral Architecture]

(Resumé)

Die vorliegende Studie versucht mit dem Thema der Sakralarchitektur und ihres liturgischen Kontextes einen in der einheimischen Forschung bisher wenig reflektierten Fragenkomplex anzusprechen. Im Mittelpunkt der Erwägungen steht das Begriffspaar Kirchenfamilie und Stations- (bzw. Wander)gottesdienst und die Hypothese, dass die damit benannten Erscheinungen auf dem Gebiet des Großmährischen Reiches (Mikulčice, Sady) sowie des benachbarten Pannoniens (Zalavár) im 9. Jh. vermutet werden können.

Den Begriff Kirchenfamilie hat Edgar Lehmann in die kunstgeschichtliche Fachliteratur eingeführt. Der deutsche Kunsthistoriker hat darunter die Mehrzahl von Heiligtümern an einem Ort verstanden, die in der Spätantike und im Frühmittelalter in manchen Bischofsitzen, wichtigen Wahlfartsorten und Klöstern nachgewiesen sind. Mit Heiligtümern hat er dabei nicht nur einzelne Sakralbauten, sondern auch Altäre als ihre Zitate gemeint. Die Qualität einer Kirchenfamilie wurde solcher Gruppe von Heiligtümern dadurch verliehen, dass diese einerseits spezifische kultische Aufgaben erfüllten, sich aber anderseits funktional ergänzten. Als Kirchenfamilie bildeten sie eine liturgische Einheit.

Die interdisziplinär ausgerichtete Theorie Lehmanns hat bei den Kirchenhistorikern positiven Widerhall gefunden. A. A. Häußling (1973) hat sie im Zusammenhang mit dem Phänomen des Stationsgottesdienstes und der frühmittelalterlichen Klosterliturgie weiter analysiert.

Stationsgottesdienst war in der Frühzeit die Liturgiefeier einer Stadtkirche, die sich unter der Leitung des Bischofs (bzw. seines Vertreters) in den einzelnen Kirchen der Stadt meist nach einer festen Ordnung an wichtigen Tagen des liturgischen Jahres vollzogen worden ist. Die Zeremonie wurde oft mit mit einer (Buß)Prozession verbunden. Der Stationsgottesdienst galt bis zum Hochmittelalter (bis zur Ausbildung des Pfarrsystems) als die vollkommenste Erscheinungsform der liturgischen Einheit der Gemeinde.

Diese liturgische Praxis wurde zuerst nur für Rom angenommen. Heute steht fest, dass sie im Gegenteil dazu weit verbreitet gewesen war: sie bildete den grundsätzlichen liturgischen Rahmen aller wichtigeren Bischofszentren und prägte auch weitaus die frühmittelalterliche abendländische Klosterliturgie. Die Form des Stationsgottesdienstes der Stadt Rom ist dabei vorbildhaft gewesen. Die Rezeption der ursprünglich städtischen Liturgie im Bereich des klösterlichen Lebens ist als wichtiger Bestandteil der politischen Orientierung der Merowinger und besonders der Karolinger an Rom verlaufen, hat in der sog. karolingischen Kloster- und Liturgiereform gegipfelt und eine bahnbrechende Transformation des klösterlichen Gottesdienstes mitgebracht. In den großen Reichsklöstern hat sich ein integriertes System von Hauptmessen und Nebenmessen herausgebildet, das für die zukünftige abendländische (nicht nur klösterliche) Liturgie maßgebend werden sollte. Zu den begleitenden Erscheinungen dieses Prozesses gehörten u.a. die Häufung der Altäre in Sakralbauten und die zitatenhafte Umgestaltung der Kirchen nach römischen Vorbilden (Doppelchörige Anlagen).

Die Annahme, dass man mit einer analogen liturgischen Praxis auf dem Gebiet Großmährens und der Pannonischen Grafschaft rechnen kann (natürlich in einer reduzierten und den örtlichen Gegebenheiten angepassten Form), beruht auf den Aussagen aus den archäologischen und schriftlichen Quellen, sowie der gesamten politischen Situation.

1. Archäologische Quellen: Auf den Burgwällen von Mikulčice, Sady bei Uherské Hradiště und der Burginsel Zalavár ist eine besondere Konzentration von Sakralbauten archäologisch nachgewiesen, die bisher keine befriedigende Erklärung gefunden hat. Vor allem Mikulčice hat sich durch eine außergewöhnliche Sakraltopographie ausgezeichnet; seine 11 Kirchen sind quantitativ mit bayerischen Zentren (Regensburg) vergleichbar. Sie wurden auf der Akropole und in der unmittelbaren Umgebung des Burgwalles errichtet. Bei der Erörterung ihrer Anhäufung kann man sich kaum mit dem Hinweis auf den vermutlichen Eigenkirchen-Charakter der meisten der Kirchen begnügen, wie es im Allgemeinen geschieht. Durch die rein archäologischen Methoden, auf die wir in diesem Falle angewiesen sind, also beim Fehlen entsprechender Aussagen in Urkunden, ist die Existenz einer Eigenkirche nicht nachweisbar. Und auch wenn wir ihr Bestehen einräumen, werden damit kirchenrechtliche und soziale Verhältnisse angesprochen, die Frage nach den kultischen Funktionen eines Sakralbaues ist damit aber keinesfalls beantwortet.

In Mikulčice spricht die Vielfalt der Bauformen (heute nur noch durch freigelegte Grundrisse dokumentiert) von verschiedenen Funktionen dortigen Kirchen. Ohne einem konkreten Bau eine bestimmte Funktion zuschreiben zu können, kann man im Rahmen des üblichen funktionellen Gefüges Überlegungen anstellen: Bischofs- bzw. Klosterkirche als Hauptkirche, Taufkirche, Gemeindekirche, private Kapelle, Grabkirche, kleinere Kloster- oder Stiftskirche.

Der „städtische“ Charakter der Sakraltopographie in Mikulčice erlaubt eine „städtische“ (bischöfliche?) Liturgie anzunehmen. Die archäologische Situation in Uherské Hradiště – Sady lässt dagegen eher einen Klosterbezirk mit einer Doppelchorkirche und zwei Kapellen zu. Die Frage nach der Beziehung zu anderen Arealen der ausgedehnten Siedlungsagglomeration Staré Město – Uherské Hradište, in der weitere Sakralbauten untersucht worden sind, bleibt offen.

Die Liturgie war in den meisten dieser Kirchen wahrscheinlich nicht autark. Es handelte sich höchstwahrscheinlich um Kirchenfamilien, deren einzelne „Mitglieder“ zur Erfüllung bestimmter kultischer Zwecke errichtet worden waren, aber zugleich als Stationen des Prozessions- und Wandergottesdienstes in den ganzjährigen liturgischen Rahmen integriert wurden. Der Vollzug dieser „übergeordneten“, integrierenden Liturgie war von der Anwesenheit eines Bischofs, bzw. eines vom Bischof beauftragten Klerikers oder einer Klostergemeinde bedingt. Quellenmäßig sind solche Umstände nur in Zalavár (Mosaburg) bestätigt, wo im Sitz Pribinas und Kocels und in seiner Umgebung ebenfalls mehrere Kirchen entstanden sind: Der Salzburger Erzbischof Liupram hat den Presbyter Dominik (wie später Erzbischof Adalwin die Erzpresbyter Alfrid und Rihpald) mit der Zelebrierung der Messen und der Verwaltung der gesamten Bevölkerung beauftragt, hier selbst gelegentlich geweilt und die Kirche des hl. Hadrian erbauen lassen. Die Bauformen dieser Kirche folgten den fränkischen Vorlagen. Der Ostchor mit einem Umgang (Ringskrypta?) und der „Westwerk“ weisen auf ähnliche liturgische Anforderungen hin, die sich mit bedeutenden fränkischen Kloster- und Bischofskirchen verknüpften.

Die liturgische Praxis der pannonischen Grafschaft muss auch bei der Planung der Errichtung der mährisch-pannonischen Erzdiözese durch Methodus Erwägung gefunden haben. Andere wichtige Indizien für das Vorhandensein ritueller Motive aus der römischen Liturgie auf mährischem Gebiet liefern uns die literarischen Zeugnisse.

2. Schriftquellen: Im Frühmittelalter war die Prozessions- und Wanderliturgie dem Osten sowie dem Westen eigen. Ihre Elemente können sowie von Konstantinus und Methodus als auch vom konkurrierenden lateinischen und fränkischen Klerus, der in Mähren bereits vor der Ankunft der byzantinischen Mission wirkte, vermittelt und in den hiesigen Ritus eingegliedert worden sein. Da fast alle literarischen Zeugnisse der großmährischen Provenienz mit der Wirkung der byzantinischen Mission zusammen hängen, sind nähere Überlegungen erst für die Zeit nach 863 möglich.

Die Spuren solcher Rituale sind der Korsuner Legende zu entnehmen, einem Schriftdenkmal, das Konstantinus zugeschrieben wird und noch vor der Reise der beiden Brüder nach Mähren verfassen worden ist. Die Beschreibung feierlicher prozessioneller Umzüge, die am Fest der Auffindung der Reliquien Klemens stattfanden, lässt an ähnliche Versammlungen des „ganzen Volkes“ in Mähren denken. Es ist höchstwahrscheinlich, dass außer dem Kult des hl. Klemens, seinen Reliquien und liturgischen Texten auch die entsprechenden Erinnergungszeremonien importiert worden sind.

Fest steht, dass die slawische, von Konstantinus und Methodus zusammengestellte Liturgie eine Mischung aus östlichen und westlichen Motiven gewesen ist. Es wird für beachtenswert gehalten, dass das neuartige liturgische Gebilde der byzantinischen Gelehrten durch die „Liebe zum römischen Brauch“ stark geprägt worden ist. Neben der in Vita Methodi (11) erwähnten „Messe des heiligen Petrus“ sind besonders die Kiever Blätter von großer Bedeutung. Trozt der Reminiszenzen aus der östlichen Liturgie stellen die erhaltenen Messformulare die nächste Analogie zum Codex Paduanum D 47 aus dem 7. Jahrhundert dar, der als eine der wichtigsten Quellen für die Rekonstruktion des stadtrömischen Stationsgottesdienstes gilt. Im Unterschied zum Codex Paduanum handelt es sich nicht um ein Sakramentar, sondern um libellus missae, ein liturgisches Hilfsbuch mit bestimmten Gebeten des Meßkanons, das eine Flexibilität bei der Zusammenstellung der Liturgie besonders in Missionsgebieten ermöglichte. Jedenfalls bestätigen die Kiever Blätter, dass ihr Verfasser – man denkt vor allem an Konstantin – mit dem römischen Ritus vertraut war. Die beiden Soluner Brüder kamen mit der stadtrömischen Liturgie auch in der Praxis in Berührung. In der Vita Constantini (17) wird geschildet, wie bei ihrem ersten Aufenthalt im Rom die ersten slavischen Kleriker und liturgischen Bücher entsprechend den Ordines Romani in wichtigen römischen Kirchen während mehrerer Tage feierlich geweiht wurden.

Aufgrund dieser und anderer Indizien kann man voraussetzen, dass sich die „Liebe“ Konstantinus und Methodus’ „zum römischen Brauch“ nicht ausschließlich auf die liturgischen Schriften bezogen hat. Die Liturgie bestand nämlich nicht nur aus Texten, deren Bruchstücke uns erhalten geblieben sind, sondern auch aus anderen gleichwertigen Elementen, wie Musik, Gebärden und Bewegungen. Nur das Zusammenspiel aller dieser Aspekte in einem entsprechenden architektonischen Rahmen bildete das vollgültige liturgische Geschehen. Und als wesentliches Merkmal der vollgültigen Liturgie galt auch der (zitatenhaft) rezipierte Stationsgottesdienst.

Ein integriertes Messensystem „nach dem römischen Vorbild“ zu feiern war ebenso im Interesse des fränkischen Klerus wie der byzantinischen Mission. Für die bayerischen Kleriker war dies die „Norm“ des regelrechten Vollzugs des Gottesdienstes, Beleg ihrer diözesanen Zugehörigkeit. Für die Anwendung des Messensystems in der slawischen Liturgie gab es mehrere Gründe: die Anpassung an die schon bestehenden liturgischen Bräuche sowie die politisch bedingte Anerkennung des päpstlichen Primats.

3. Politische Liturgie: A. A. Haußling spricht im Zusammenhang mit dem auf Rom ausgerichteten fränkischen Ritus von der „politischen Liturgie“. Der Gottesdienst hatte im Frankenreich staatspolitischen Rang, die politische Herrschaft hat sich durch die Liturgie präsentiert und ihre Ansprüche immer neu begründet.

Die großmährischen Fürsten konnten nicht auf eine vergleichbare Heiligung wie die fränkische Führungsschicht aspirieren, die sich mit dem Gottesvolk identifiziert hatte. Der Bedeutung des Bündnisses mit der Kirche waren sie sich aber sehr gut bewusst. Die vollkommene Befreiung Mährens von der fränkischen Abhängigkeit war nur durch die kirchenrechtliche Selbstständigkeit, d.h. durch die Errichtung einer von Rom anerkannten Diözese möglich. Welche Rolle die byzantinische Mission in diesem politischen Emanzipationsstreben gespielt hat, ist gut bekannt. In der hoch ritualisierten Gesellschaft, wie es die frühmittelalterliche war, waren solche politischen Ansprüche ohne überzeugende formale Signale undenkbar. Vor allem nach der Gründung der mährisch-pannonischen Erzdiözese müssen die Bedürfnisse nach einer „normativen“ Liturgiefeier des rechten Glaubens gestiegen sein. Der „nach den richtigen Regeln“ gefeierte Gottesdienst bedeutete in der Praxis eine zitatenhafte, auf charakteristische Merkmale reduzierte Übernahme der römischen liturgischen Bräuche. Neben den Hauptfesten des liturgischen Jahres, normativen Patrozinien, Heiligenfesten des römischen Kalenders (belegt sind die Messen zu Ehre der Apostel Peter und Paul, Philippus und Jakobus, Klemens und Felicita u.a.) kann man auch die Rezeption anderer Elemente vermuten, wie Musik (im Falle der Kiever Blätter mit der aufgezeichneten Notation hat E. Koschmieder die römische Intonation festgestellt!) und die Stationsgottesdienste (als einer der Wesenszüge) waren. Bei diesen Erwägungen darf man die Bevorzugung der lateinischen Messe durch Svatopluk nicht vergessen. Der lateinische Ritus herrschte nach dem Methodus’ Tod endgültig vor.

Die hier vorausgesetzte liturgische Form mit den Motiven des Prozessions- und Stationsgottesdienst spricht nichts von der Tiefe des Glaubens. Sie hat vornehmlich deklaratorischen Charakter gehabt. Ihre vollgültige Ausübung ist in den politischen und kirchlichen Zentren, also auf den wichtigen Burgen vorstellbar, die über die entsprechende Sakraltopographie verfügt haben. Doch hat der dramatische kommemorative Aufbau eines solchen liturgischen Geschehens auch einen starken didaktischen Inhalt gehabt, dessen Zielsetzung eine Vertiefung der Christianisierung gewesen war. Seinen wesentlichen Bestandteil bildete der Heiligenkult als Überbrückung zwischen den heidnischen Vorstellungen und den Grundthesen der christlichen Dogmatik. Die kultische Verehrung der Heiligen und ihrer Reliquien wird zugleich als einer der Anstöße zur Häufung von Altären und Messfeiern und somit zur Ausbildung des integrierten frühmittelalterlichen Messensystems angesehen. In Großmähren ist die Verbreitung des Heiligenkultes sowohl von den Schriftquellen als auch von archäologischen Funden her bestätigt. Zu den neuesten Belegen gehört die Entdeckung eines sepulchrum in der sog. 12. Kirche auf der Akropole in Mikulčice.