Časopis ARS 37 (2004) 1-2

Ingrid CIULISOVÁ

Obraz Judášov bozk z retabula oltára Korunovania Panny Márie v Spišskej Kapitule. Možné odpovede na niektoré otázky súvekej vizuálnej praxe
[Das Bild des Judaskusses vom Retabel des Marienkrönungsaltars in Spišská Kapitula (Zipser Kapitel). Überlegungen zur zeitgenössischen visuellen Praxis]
[Table Painting The Kiss of Judas from the Altar of the Coronation of the Virgin in Spišská Kapitula. Possible Answers to the Questions about Contemporary Visual Practice]

(Resumé)

In der vorliegenden Studie beschäftigt sich die Autorin mit einem einzigen Altarbild. Sie ist nämlich der Ansicht, dass auch eine solche Vorgehensweise ihren Beitrag leisten kann. Zum Beispiel dann, wenn es sich wie in diesem Fall um ein Bild handelt, dessen ikonographisches Motiv nicht sehr häufig ist im Fonds der mittelalterlichen Tafelmalerei auf dem Gebiet der Slowakei. Weiter, wenn gerade die Komposition und der formelle Aufbau dieses Bildes helfen die Koordinaten der geographischen Karte einer visuellen Kultur der Zips Ende des 15. Jahrhunderts aufzuzeichnen, an der auch der Bildautor mitwirkte. Und zusätzlich, wenn gerade dieses Bild insgesamt deutlich das malerische Repertoire einer Werkstatt näher bringt, in der der unbekannte Meister arbeitete, sowie Muster und Vorlagen, über die er in ihrem Rahmen verfügte. Gegenstand der Forschungsarbeit ist das Bild des Judaskusses vom Retabel des Marienkrönungsaltars in der Kirche des Hl. Martin von Tours in Zipser Kapitel (Tempera, Lindenholz, 144 × 88 cm, ursprünglicher Rahmen).

Das Bild erfasst den Höhepunkt des Geschehens bei der Gefangennahme Jesu. Judas, einer der Zwölf, hat gerade den Meister angesprochen, bereit seine Vereinbarung mit den Hohenpriestern durch einen Kuss zu erfüllen. Dieser Moment des gesamten Geschehens wird hier durch den Autor so stark betont, dass man das Bild als Judaskuss bezeichnen kann. Epizentrum des Bildes ist die Figur des Verräters - Judas. Die außerordentliche Position von Judas, sowie seine Rolle in der gesamten Bildkomposition, werden wesentlich durch das klare Gelb von Judas langem Gewandt akzentuiert. Die Figuren von Christus und Judas sind statisch und vermitteln trotz der mitreißenden Dramatik des stattfindenden Ereignisses theatralischer Repräsentativität. Im Gegensatz dazu bemühte sich der Autor des Bildes die vier Männer, Soldaten und Hohenpriester als aktive Teilnehmer des Geschehens vorzustellen und durch sie das dargestellte Ereignis zu dramatisieren. Der Maler hat ihre Gestalten auf dem Bild so platziert, dass ihre gegenseitige Verknüpfung in Raum und Handlung nicht organisch ist. Gerade diese Gruppe männlicher Gestalten unterstützt vielleicht am offensichtlichsten die Annahme, dass der Autor des Bildes aus dem Zipser Kapitel sein Bild durch gegenseitige Kombination der einzelnen Figuren komponierte, die er einzeln aus dem Konvolut von Graphiken und Zeichnungen wählte, über die er wahrscheinlich im Rahmen seiner Werkstatt verfügte.

Neben dem Bemühen um ein gewisses Maß an statischer Repräsentativität, deren Träger die Gestalten von Jesus, Judas, aber auch des Apostels Simon Petrus sind, und die auch durch das gewählte längliche Gemäldeformat gefördert wird, ist für den Autoren der Tafel aus dem Zipser Kapitel ein weiters Element seiner Handschrift charakteristisch. Es ist das bereits erwähnte konzentrierte und zielbewusste Bemühen eine räumliche Tiefe des Bildes zu erreichen. An ihrem Aufbau beteiligt sich auch das Licht in wesentlichem Maß. Es ist jedoch nicht das überirdische "Licht" des goldenen Himmels. Die Gestalten der Handlungsteilnehmer beleuchtet ebenso wie weitere Szenerequisiten eine weitere Lichtquelle, die nicht näher konkretisiert wird. Es kommt von der rechten Seite des Bildes und trägt dazu bei, dass die Figuren und auch die einzelnen Gegenstände, die Bestandteile des Bildes sind, ihren zweidimensionalen Charakter verlieren, konsequent Schatten werfen und in ihrer Masse durch das Licht modelliert werden.

Das Retabel des Marienkrönungsaltars besteht aus acht großflächigen Tafeln. Vier davon bilden Paare der Altarflügel, sind beweglich und von beiden Seiten bemalt. Von den insgesamt zwölf Bildern haben vier einen Bezug zur Marienweihung des Altars und der zentralen Skulpturengruppe im Altarschrank. Die übrigen acht Bilder sind Bestandteil des Passionszyklus. Das Bild mit der Darstellung des Judaskusses befindet sich auf dem linken beweglichen Altarflügel uns ist auf die hintere Seite seiner oberen Tafel gemalt. Die vordere, feierliche Seite dieser Tafel ist dem "freudigen" Ereignis Mariä Verkündigung vorbehalten. Die episch reiche Geschichte der Christuspassion ist auf dem Altar des Zipser Kapitels mit traditionellen Szenen dargestellt: Christus auf dem Ölberg, Judaskuss, Jesus vor Kaifas, Auspeitschung, Krönung mit der Dornenkrone, Jesus vor Pilatus, Tragen des Kreuzes und Kreuzigung. Bei der gesamten visuellen Präsentation des Passionszyklus mit geschlossenen Altarflügeln befindet sich das Bild des Judaskusses direkt im Epizentrum der Aufmerksamkeit des Betrachters. Bemerkenswert ist, dass die Gestalt des Judas im Rahmen der figuralen und farblichen Komposition des Retabels als Ganzem seine konsequente optische Ausgewogenheit nur in der Gestalt von Jesus am Kreuz auf dem Bild Kreuzigung wieder findet. Judas Ischarioth ist in gewissem Sinne das Gegengewicht von Christus. An der Stellung, die im Rahmen des gesamten Retabels der Marienkrönung das Bild des Judaskusses und in seinem Rahmen die Gestalt des Judas selbst einnehmen, hatte die Entscheidung des Autors die Gestalt von Judas vor Jesus Christus zu platzieren und vor allem, ihn in ein langes, leuchtendgelbes Gewandt einzukleiden wesentlichen Einfluss. Judas Ischarioth wurde zu einer der zentralen optischen Dominanten des Passionszyklus des Altar-Retabels überhaupt. Die Bedeutung des Passionszyklus verlagerte sich so auf die Ebene der grundlegenden ethischen Konfrontation des Guten und des Bösen.

Die Bilder, die das Retabel des Marienkrönungsaltars bilden, wurden vor kurzem restauriert und Dank der Aussage des Restaurators sind wir auch relativ gut über die Material- und Technikaspekte des erforschten Bildes informiert.

Das Bild des Judaskusses wurde auf die hintere Seite einer von beiden Seiten bemalten Tafel aus Lindenholz platziert (144 × 88 cm). Bestandteil dieses Bildes war ein abnehmbarer profilierter Holzrahmen mit einem bemalten und vergoldeten Teil. Das Bild selbst wurde in Temperatechnik auf Kreideuntergrund realisiert. Es fehlte jedoch ein Leinenüberzug der Tafel. Die Restauratoruntersuchung ergab, dass die einzelnen Bilder des Retabels Marienkrönung zuerst sorgfältig mit schwarzer Farbe und einem Pinsel vorgezeichnet wurden. In einzelnen Fällen, in denen im Rahmen des technischen Aufbaus mit einer Vergoldung gerechnet wurde, hat man einzelne Details mit gestochenen Linien umrissen. Die Malerei selbst wurde dann stellenweise in einer relativ pastösen Schicht, in schnellen Zügen aufgetragen. Die Skala der verwendeten Pigmente weist auf die Abhängigkeit von der traditionellen mittelalterlichen Farbsymbolik hin und weicht in ihrem Repertoire nicht grundsätzlich vom zeitgenössischen Werkstattrahmen ab. Auf den Gemälden des Retabels des Marienkrönungsaltars treffen wir jedoch ganz außergewöhnlich im Kontext der Zipser Region, sogar des gesamten Gebiets der Slowakei auf den Einsatz von zwei wertvollen Pigmenten. Und zwar Safrangelb und natürlichem Ultramarin. Also Pigmenten, die zu damaliger Zeit nicht nur selten und relativ schwer zu beschaffende Güter waren, sondern auch in der Werkstattvorbereitung Erfahrung und besondere mehrjährige Werkstattschulung erforderten. Gerade die Präsenz der beiden oben genannten Pigmente weißt offensichtlich auf das erworbene Reichtum und die gesellschaftliche Stellung dessen hin, der die Bilder des Altar- Retabels vom Zipser Kapitel in Auftrag gab und bezahlte.

Man kann also feststellen, dass das Material der Holzunterlage, der Charakter des Untergrundes, die Maltechnik, der angewandte Polychromieausbau der Bilder zusammen mit den verwendeten Pigmente es ermöglichen, die Werkstatt, in der die Bilder des Retabels des Altars Marienkrönung entstanden sind, mit der nördlichen gotischen Malertradition in Verbindung zu bringen. Diese Werkstatt war wahrscheinlich von regionalem Charakter und der Import einzelner Bild kann nach bisherigen Feststellungen ausgeschlossen werden. Der Meister jedoch, der die Werkstatt führte, wurde mit großer Wahrscheinlichkeit in einem der bedeutungsvolleren zeitgenössischen Künstlerzentren geschult. Geographisch kann man sie zwischen das Rheinland mit Zentrum in Köln am Rhein auf der einen Seite und Schlesien mit Zentrum in Breslau auf der anderen Seite platzieren.

Ergebnisse kritischer Forschung haben gezeigt, dass der Autor des Bildes des Judaskusses nicht in dem Sinne erfindet, den wir diesem Wort in heutiger Zeit zuweisen. Er eignet sich das Repertoire anderer an, die er transformiert, wobei er eine eigene deutlich lesbare Kompositions- und Farbformel entwickelt. Im Einklang mit der zeitgenössischen Praxis und den Kriterien dessen, was die Moderne als Schaffen bezeichnete, beruht sein " Können" und seine Originalität in erster Reihe in der Kapazität seiner visuellen Erfahrung, der Fähigkeit Muster und Vorbilder anderer Meister zu selektieren und zu kombinieren. In diesem Fall waren es tatsächlich so wie generell durch die von uns mehrfach erwähnten Oskar Schürer, Erich Wiese und Anton C. Glatz festgestellt wurde, Vorlagen der niederländisch- rheinländischen Provenienz. Wir sind der Ansicht, dass Elemente der niederländischen Malkunst in das Malregister unseres Autors über mehrere Kanäle gelangten. Der erste und wie es den Anschein hat wichtigste, waren die Graphikblätter von Martin Schongauer. Gerade durch diese flossen in die Bilder des Altar-Retabels vom Zipser Kapitel die Stylerrungenschaften der niederländischen Malerei der Schicht ein, die Rogier van der Weyden repräsentiert. Das erklärt, warum wir in der Typologie einiger Gesichter Reaktionen auf Arbeiten dieses Niederländischen Malers verzeichnen. Mit den Vorlagen Rogier van der Weydens konnten sich jedoch der Meister und die Werkstatt, in der die Tafeln des Altars Marienkrönung angefertigt wurden, auch direkt in heimischer Umgebung bekannt machen. Eine entscheidende Rolle konnte der Altar des Erzengels Michael von der Propstkirche im Zipser Kapitel gespielt haben. Die festgestellten unmittelbaren engen Zusammenhänge zwischen dem Bild mit dem Hl. Michael im Zipser Kapitel und der Tafel mit dem Letzten Gericht des Altars von Rogier van der Weyden in Beaune bestätigen, dass der Autor dieses Bildes im Zipser Kapitel, das irgendwann am Ende der siebziger Jahre des 15. Jahrhunderts fertig gestellt wurde, die Arbeiten von Weyden aus der Zeit um das Jahr 1450 kannte. Die niederländischen Stilelemente konnte jedoch auch die rheinländische Tafelmalerei vermitteln. Wir sind der Ansicht, dass im Fall des Retabels des Krönungsaltars im Zipser Kapitel das künstlerische Umfeld von Köln am Rhein eine Schlüsselrolle spielen konnte. Und hier solche Meister wie zum Beispiel der Meister der Lyversberger Passion, bzw. der Meister der Münchener Gefangennahme.

Der Altar Marienkrönung, dessen Bestandteil auch das erforschte Bild des Judaskusses ist, ist der Hauptaltar der Südkapelle der Propstkirche des Hl. Martin im Zipser Kapitel. Archivunterlagen liefern sicheren Beleg darüber, dass die Kapelle durch einen der reichsten und einflussreichsten zeitgenössischen ungarischen Magnaten fundiert wurde, Stefan Zapolya ( † 1499 ), der sich wünschte dort begraben zu werden. Aus Archivunterlagen geht weiter hervor, dass diese Kapelle Maria Himmelfahrt geweiht war. Ihr Ausbau begann noch zur Zeit der Herrschaft von König Matthias Corvinus, irgendwann Ende der achtziger Jahre, fertig gestellt wurde sie jedoch mit großer Wahrscheinlichkeit erst nach Corvinus Tod, während der Herrschaft von Wladislaw II. Jagello. Grossen Verdienst an der Krönung von Wladislaw Jagello im Jahr 1490 zum ungarischen König und seinem Sieg im Streit um den ungarischen Thron mit dem unehelichen Sohn von Matthias Corvinus, Johann, hatte letztendlich gerade der "Fundator" der Kapelle, Stefan Zapolya. Paradoxerweise, denn das Geschlecht Zapolya verdankte seine bedeutende gesellschaftliche Stellung und seinen Reichtum, über das es in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts im Rahmen des ungarischen Königreichs verfügte, ausgerechnet Matthias Corvinus. Das hinderte Stefan Zapolya jedoch nicht daran, dass er Nachfolgerverhandlungen auf den leer gewordenen ungarischen Thron für Wladislaw Jagello führte. Der "Verrat" am Geschlecht Hunyady, brachte Stefan Zapolya viel ein. Im Jahr 1492 wurde er zu zweiten Mann des Landes, als er ähnlich wie zuvor Emmerich Zapolya den Posten des ungarischen Palatins erwarb, wobei er durch Reichtum und Einfluss den König selbst übertraf. Gerade der "Verrat", der am Retabel des Kapellenaltars in Erinnerung gebracht wird, ebnete dem Geschlecht Zapolya den Weg, der bis zum Thron Ungarns führte. Die Einstellung von Stefan Zapolya, sein Entschluss Wladislaw II. Jagello zu unterstützen, trug wesentlich dazu bei, dass sein Sohn Johann Zapolya, im Jahr 1526 in Stuhlweißenburg feierlich zum ungarischen König gekrönt wurde.

Obwohl wir den "Fundator" der Kapelle Mariä Himmelfahrt kennen, wissen wir über die Person des Auftraggebers des Marienkrönungsaltars bis jetzt mit Bestimmtheit nicht sehr viel. Die Verwendung seltener und aufwendiger Pigmente indiziert seine gesellschaftliche Stellung und Klassenzugehörigkeit. Wir halten jedoch den Hinweis auf die Zapolyas über zwei Statuen der traditionellen ungarischen Schutzherren, den Hl. Stefan und den Hl. Emmerich, die sich zusammen mit der Statue des Hl. Ladislaus auf dem Altarvorbau befinden, für wenig überzeugend.

Deutsch von Roman Cvrkal