Journal ARS 27 (1994) 2

Petr FIDLER

K architektuře středoevropského Seicenta
[Die Architektur des zentraleuropäischen Seicentos]
[The Architecture of Central European Seicento]

(Summary)

Der vorliegende Text ist die ungekürzte Fassung eines Vortrages, den der Verfasser in Bratislava für die Kunsthistorische Gesellschaft der Slowakei im Frühjahr 1994 gehalten hat. Sein Anliegen war ein Versuch der Rehabilitierung der mitteleuropäischen Architektur des Seicento, die jahrelang in der Barockforschung ein Aschenputteldasein fristete. Einerseits wohl deshalb, weil ihre Schöpfer, die Architekten aus dem norditalienischen und Tessiner alpinen Seengebiet, für unsere nationalistisch orientierte Forschung "negligible" Ausländer geblieben sind. Andererseits deshalb, weil ihre künstlerischen Leistungen mit dem Maßstab der römischen Architekturproduktion eines Francesco Borromini oder Gianlorenzo Bernini gemessen wurden. Beide Vorurteile sind heute nicht mehr haltbar. Die Kulturmission der italienischen Künstler, die in unseren Ländern im 17. Jahrhundert dem mediterranen Humanismus im Bereich der bildenden Künste zum ultimativen und irreversiblen Durchbruch verhalfen, ist kaum hoch genug zu schätzen. Auch wenn ihre Werke oft provinziell waren, verträgt ihre künstlerische Qualität durchaus einen Vergleich mit der Produktion in anderen italienischen Kunstprovinzen. Schließlich waren Wien und Prag im 17. Jahrhundert in der Architektur im Großen und Ganzen eben nur "italienische Kunstprovinzen" nördlich der Alpen! Die mitteleuropäische Architektur des Seicento war international, wie auch der Aktionsradius der hier tätigen italienischen Baukünstler. Die Forschung, die diesem Phänomen zu Leibe rücken will, muss daher ihre Tätigkeit in einem größeren geographischen Raum betreiben, ungeachtet der politischen oder sprachlichen Barrieren. Auch dieses Hindernis wird erst jetzt langsam überwunden.

Die Forschung über die mitteleuropäische Architektur des Seicento muss außerdem ein gesteigertes Verständnis für deren Zweckmäßigkeit und deren Ästhetik neu gewinnen. Es zeigt sich, dass insbesondere im Bereich der profanen Baukunst das Hofzeremoniell für das Erscheinungsbild ihrer Werke ausschlaggebend war. Seine Prinzipien und Bedeutung wurden zwar in den Werken von Norbert Elias und seiner Nachfolger erläutert. Das Echo des soziologischen Ansatzes lässt in der Seicentoarchitekturforschung auf sich jedoch immer noch warten. Die Schlösser und Paläste des 17. Jahrhunderts waren jedoch nicht nur statische "Puppenhäuser" für die Hofzeremoniellmeister, sondern vor allem eine Bühne für die Ereignisse des Fest- und Alltages. Daher muss auch die dynamische Komponente des Seicento-Raumes untersucht werden. Hier kann der Forscher u. a. auf die Ergebnisse der Historiographie des Tanzes oder Abhandlungen über die Logistik und Taktik der damaligen Kriegsführung zurückgreifen.

Anschließend an den methodologischen Teil des Vortrages stellte der Verfasser einige in der Slowakei des 17. Jahrhunderts tätigen Architekten vor. Eine ausführliche Abhandlung über ihre Tätigkeit sollte in der Revue ARS demnächst publiziert werden.

Die Reihe der kaiserlichen Architekten des Seicento eröffnet Giovanni Battista Carlone aus Verna (1580/90 - 1645). Ab 1614 stand er als Baumeister im Dienste des Fürsten Karl von Liechtenstein, für den er möglicherweise bereits 1605 gearbeitet hatte. Von 1620 bis 1637 war Carlone Hofbaumeister des Kaisers Ferdinand II. Seit 1633 gehörte Carlone dem Hofstaat der Kaiserin Eleonora von Gonzaga an.

Für Karl von Liechtenstein arbeitete G. B. Carlone am Umbau des Schlosses Valtice, an der Sommerresidenz in Lednice, am Schloss Bučovice, und möglicherweise auch am Umbau der fürstlichen Residenz in Prag oder am Bau des Majoratshauses in der Wiener Herrengasse. In Wien geht die Kaiserkapelle bei den Kapuzinern wohl auf seine Planung zurück. Mit Carlones Namen kann man vor allem die Umbauarbeiten in der Wiener Hofburg verbinden - an der Schatzkammer und am Ballhaus. Eine Ausnahme unter diesen eher bescheidenen kaiserlichen Aufträgen bilden das neue Saalgebäude der Wiener Hofburg und der aufwendige und repräsentative Umbau der königlichen Burg von Preßburg. Von allen diesen Bauten inklusive des nach 1640 neu errichteten Lustgartens der Wiener Hofburg ist heute nichts mehr erhalten.

Seit 1636 arbeitete Carlone in Ungarn für den Grafen Paul Pálffy. In Preßburg errichtete er für ihn eine Vorstadtvilla mit einem prächtigen Garten. Seit 1632 arbeitete Carlone wohl auch für die ungarischen Adeligen Batthyány und Esterházy. Von 1634 bis zu seinem Tod 1645 arbeitete Carlone am Umbau des Stiftes und der Stiftskirche in Klosterneuburg. 1638 - 1644 beschäftigte ihn Graf Giovanni Battista von Verdenberg. Neben etlichen näher nicht zu bezeichnenden "Disegni" kann man Carlone in Verbindung mit den Verdenbergschen Bauten in Grafenegg, Grafenwörth, Straß, und in Náměšť (Namiest a. d. Oslawa) bringen. Die Paulanerkirche im IV. Wiener Bezirk wurde ebenfalls nach Carlones Plänen 1633 gebaut.

Auf Carlones Planung gehen höchstwahrscheinlich auch Pálffys Schloß in Stupava, die Esterházy - Franziskanerkirche in Eisenstadt, die Jesuitenkirche in Wien und die Jesuitenkirche in Trnava, und die ebenfalls, wie die letztere, im Esterházyschen Auftrag umgebaute Burg Forchtenstein zurück.

Die Tätigkeit des Liechtensteinschen Hausarchitekten Giovanni Giacomo Tencalla, Vater des berühmten Freskomalers Carpoforo Tencalla, ist in der Slowakei zwar nicht belegt. Die Bedeutung der römischen Impulse, die er unserer Architektur vermittelte, rechtfertigt jedoch seine Erwähnung in diesem Zusammenhang. In Valtice übernahm Tencalla nach G. B. Carlone den Bau der dortigen Liechtensteinschen Pfarrkirche, den er bis 1638 führte. 1638 stürzte die Valticer Kirchenkuppel ein, und Tencalla wurde in Ungnaden entlassen. In Wien ist G. G. Tencalla als Architekt der Dominikanerkirche St. Maria Rotonda nachweisbar. In Rabensburg baute Tencalla das Liechtensteinsche Schloss um.

G. G. Tencalla setzte in der mitteleuropäischen Architektur neue räumliche und plastische Akzente. Der durch sein Auftreten hervorgerufene Entwicklungssprung überwand in Wien am Anfang der 30er Jahre den vermeintlichen Entwicklungsgeschichtlichen Rückstand der Carloneschen Architekturauffassung.

Der kaiserliche Architekt Filiberto Luchese war zweifelsohne die Schlüsselfigur der Architektur des Wiener Hofkreises um 1650. Er ist vor 1640 nach Österreich wohl über Polen gekommen. Bis 1650 beteiligte er sich an allen wichtigen Dekorationen im Raum Wien, Ungarn und Mähren. Seit 1650 trat er deutlicher als Architekt hervor. Außerdem wurde er auch als Militär-, Wasserbau- und Zivilingenieur geschätzt. Mit seinem Namen kann man eine Stilwende in der mitteleuropäischen Architektur, nämlich die Verbreitung des Fassadenplanimetrismus, verbinden.

Im Herbst 1640 stuckierte Luchese (geb. 1606 in Melide, gest. 1666 in Wien) mit seinen Gehilfen die Kapelle des Schlosses zu Rechnitz. Für Batthyány war Luchese auch später an anderen Bauunternehmen tätig (das Schloss in Rechnitz, die Burg Schlaining, das Schloss und das Franziskanerkloster in Güssing, die Burg Bernstein u. a.).

Seit 1640 arbeitete Luchese auch für die Familie Pálffy als Architekt und Stukkateur (Stukkierung der Festräume der Preßburger Pálffy-Residenz, Pálffy-Schlösser in Bojnice und in Marchegg, die Dekorationen in der Burg Pajštún/Paillenstein und in Červený Kameň). Im Zusammenhang mit der geplanten Schiffbarmachung der Traun sind wohl auch Lucheses Pläne für die Stiftskirche in Lambach (1650) entstanden. In Linz dürfte er an der Planung des neuen Rathauses mitbeteiligt gewesen sein.

Zwei Jahre später war Luchese in Mähren unterwegs, wo er die Möglichkeit einer Regulierung des Flusses March zu überprüfen hatte - in Bezug auf eine mögliche Verbindung der Länder der Habsburgermonarchie auf dem Wasserweg. Dabei besuchte Luchese auch seine Bauherren, Fürst Gundaker Liechtenstein in Uherský Ostroh (Ungarisch Ostra) und Graf Johann Rottal in Holešov (Holleschau). Für den Grafen Rottal entwarf Luchese das Schloss und die Pfarrkirche in Holešov sowie das Schloss in Kvasice (Kwasitz).

1655 baute er in der Herrengasse das Palais Abensberg-Traun um. 1657 ist sein Projekt für die neue Fassade der Jesuitenkirche Am Hof zu datieren. Seit 1660 wurde in der Wiener Hofburg nach seinen Plänen der neue Leopoldinische Trakt gebaut. 1661 legte Luchese die unausgeführten Pläne für die neue Fassade der Michaelerkirche in Wien vor.

Seit 1656 arbeitete Luchese mit seinem jüngeren Landsmann aus Bissone, Giovanni Pietro Tencalla zusammen. Lucheses "Sozius" Tencalla trat nach Lucheses Tod auch dessen Amt als kaiserlicher Hofarchitekt an und bekleidete es bis Ende des 17. Jahrhunderts. Die Tätigkeit dieses für Wien, Österreich und Mähren im letzten Drittel des 17. Jahrhunderts bedeutenden Architekten in der Preßburger Burg ist zwar urkundlich belegt, ihre Artefakte jedoch nicht mehr erhalten.