Časopis ARS 29 (1996) 1-3

Ivan GERÁT

Naratívny cyklus zo života sv. Ladislava v ikonografickom programe gemerských kostolov (poznámky ku vzťahu obrazov k textom)
[Der erzählende Zyklus aus dem Leben des heiligen Ladislaus im ikonographischen Programm der Kirchen von Gemer (Bemerkungen über das Verhältnis der Bilder zu den Texte)]
[The Narrative Cycle of St. Ladislaus’s Life in the Iconographic Program of the Churches in the Gemer Region (Remarks on the Relation of Images to Text)]

(Resumé)

Der auf die Kirchenwände gemalte mittelalterliche Zyklus aus dem Leben des Heiligen wird in der kunstgeschichtlichen Literatur üblicherweise als " Ladislauslegende" bezeichnet, obwohl in seiner sichtbaren Gestalt nur schwerlich die Strukturmerkmale der Legende als einer Gattung der mittelalterlichen Literatur zu erkennen sind. Der Heilige ist in blutigen Kämpfen dargestellt und Wunder kann man kaum finden. Diese Eigenartigkeit wird noch deutlicher, wenn man das in der Wandmalerei anschaulich Gegebene mit den Illustrationen der Ladislauslegende im sog. Ungarischen Legendarium (Codex vat. lat. 8541), die u. a. mehrere Wunder beinhalten, vergleicht. Hierzu kommt noch die Tatsache, daß die bekannten liturgischen Texte im Unterschied zu den Chroniken die in der Wandmalerei dargestellte Geschichte nicht enthalten. Im Vergleich mit den Texten ist mitunter auch die leicht veränderte Rolle des Mädchens auffällig - in den Bildern köpft sie selbst den Heiden, und nicht der Heilige, wie es die älteren Textredaktionen sehen. Möglicherweise hängt die Änderung ihrer Rolle nicht nur mit der sich im allgemeinen ändernden Einstellung der damaligen Gesellschaft den Frauen gegenüber zusammen, sondern auch mit der Anwendung des neuen Mediums: erst wenn man den Heiligen malen sollte, wie er einen bereits überwundenen Feind tötet, könnte die Rolle bei der Hinrichtung vertauscht werden, um die möglicherweise auffällig störenden Eigenschaften des Heiligen aus seinem Bild zu entfernen. Aus dem Vergleich mit der eigentlichen Legende ergibt sich auch die Frage, warum die "Legende" in mittelalterlichen Kirchen so eigenartig dargestellt wurde. Die Beantwortung dieser Frage ist nur aufgrund einer Analyse der ikonographischen Programme der Kirchen in ihrer Komplexität zu gewinnen. Überraschenderweise haben die bisherigen Untersuchungen des Themas eine solche Komplexität nicht angestrebt. In der vorliegenden Studie wird eine derartige Analyse für die drei Kirchen der Region Gemer (heute Slowakei) durchgeführt, in denen das Thema begegnet.

Das erste Beispiel ist die auch chronologisch älteste Ausmalung der Dorfkirche in Kraskovo. Der Zyklus ist hier auf der nördlichen Wand dargestellt, die die größte Fläche und beste Beleuchtung bietet und sich darüber hinaus direkt dem Eingang gegenüber befindet. Das Programm der Wand wird im Unterschied zur Ausmalung des Triumphbogens und des Presbyteriums als eine Sphäre des Historischen gedeutet, in der u. a. auch bedeutende Anspielungen auf die aktuelle Kreuzzugsideologie (Anbetung der Könige, hl. Helena) zu beobachten sind. Die Ausmalung des Triumphbogens auf der Seite des Schiffs beinhaltet die Themen, die mit einem Übergang vom Bereich des Historischen in das im Presbyterium dargestellte überzeitlich- transzendente Himmlische Jerusalem zusammenhängen, sei es von oben nach unten (Verkündigung) oder umgekehrt ( Schutzmantelmadonna, hl. Michael mit der Seelenwaage). Die spezifisch religiösen Bedeutungen werden also in dem logisch zusammenhängenden Programm vor allem in diesen Sphären des Transitiven und des Transzendentalen deutlich genug dargestellt. Deshalb war es nicht nötig, sie bei der Darstellung des Heiligenlebens hervorzuheben, was die Wahl gerade der eigenartigen und spezifischen Motive begründet. Diese hatten nämlich auch eine Funktion, die andere Themen kaum übernehmen konnten: Ich bezeichne sie als eine ideologische Transformation des Zeichens potentieller Gewaltanwendung. Eine ähnliche Funktion wurde in den neuesten Untersuchungen des Rolandliedes (cf. Anm. 75) detailliert herausgearbeitet. In einer Dorfkirche kann man zwar nicht mit allen subtilen Bedeutungsverschiebungen rechnen, einige sind aber doch in Betracht zu ziehen: der in den Bildern aus dem Ladislausleben dargestellte Ritter war äußerlich sicherlich jenen Rittern ähnlich, die aus ihren Burgen unter das unbewaffnete Bauernvolk herauszureiten pflegten, und die diese ihnen ähnliche Gestalt in den Bildern bewundern konnten. Die bäuerlichen Besucher mußten auch diese Ähnlichkeit sehen können. Im Unterschied zu ihrer Alltagserfahrung aber war der dargestellte Kämpfer heilig und bekämpfte die anderen, also die heidnischen Feinde des Landes. Er wurde auch als ein Beschützer des von einem Heiden entführten Mädchens vorgestellt, das Ladislaus im Kampfe vorbildlich half und danach dessen Kopf in seinem Schoß liegen ließ. Die Transformation orientierte also alle bedrohenden Momente nach außen, hob die positive soziale Funktion der Ritter hervor und stellte ein Vorbild dar, wie die Beschützer zu akzeptieren sind. Das Vorhandensein dieses Moments zusammen mit der in höfischen Kreisen modischen und möglicherweise auch hier in Betracht kommenden Frauenbewunderung gibt dem Frauenbild der "Legende" eine gewisse Ambivalenz: Die Frau konnte entweder als ein Vorbild oder als ein Objekt der Begierde wahrgenommen werden. Die ideologische Transformation war nicht nur als eine propagandistische Unterstützung der aktuellen Machtverhältnisse, sondern auch als eine sinnvolle und psychologisch bedeutende Erklärung einiger potentiell störender Aspekte des damaligen Lebens wichtig. Die Theorie der ideologischen Transformation, wie ich sie für Kraskovo formulierte, kann einige Fragen beantworten, die bisher ohne eine wirklich plausible Lösung blieben. Erstens waren die älteren Theorien nicht in der Lage, eine einleuchtende Erklärung für jede Szene im Zyklus zu geben. Mit der Theorie der ideologischen Transformation kann man jede Szene in ihrem aktuellen Sinn verstehen. Zweitens konnten alle bisherigen Theorien nicht erklären, warum diese im mittelalterlichen Ungarn so bedeutende Geschichte ausgerechnet in kleinen Dorfkirchen und nicht etwa in den Städten dargestellt wurde. Wenn wir den Zyklus in ihrer spezifischen Bedeutung für die Landbevölkerung verstehen, ist es kein Rätsel mehr.

Unter dem Stichwort Ausstrahlung und Variationen werden dann zwei weitere Kirchen untersucht. Für das in vieler Hinsicht analoge Programm in Rimavská Baňa ist eine deutliche Abschwächung der Momente der Kreuzzugspropaganda festzustellen. Im Zusammenhang mit Sigismunds Niederlage bei Nikopolis könnte dies - was die Datierung des Programms betrifft - für das Jahr 1396 als terminus post quem sprechen. Auch die sakrale Rolle des Himmlischen Jerusalem wurde im heute stark beschädigten Presbyterium sicherlich deutlich abgeschwächt.

Für die Kirche in Rákoš s sind noch deutlichere Unterschiede festgestellt worden: Der Zyklus ist (und war) visuell viel schlechter zugänglich, weswegen seine propagandistische Instrumentalisierung im oben beschriebenen Sinne kaum in Frage kam. Auch die deutlichen ikonographischen Unterschiede im Zyklus selbst, u.a. das Fehlen der königlichen Krone und des Mädchens könnten sogar zur Frage führen, ob hier überhaupt eine identische Geschichte dargestellt wurde. Im Programm werden auch andere Akzente gesetzt: erstens die ausgeprägte Endzeiterwartung im großen Bild des Jüngsten Gerichtes, dann die sonst in der Region nicht besonders häufig abgebildete Stigmatisierung des hl. Franziskus ( beide noch auf der nördlichen Wand), schließlich auch die eucharistischen Szenen im Presbyterium. Alle diese Momente deuten auf die franziskanische Spiritualität hin, was wahrscheinlich mit dem sich in der Nähe befindenden franziskanischen Kloster in Kameňany zusammenhängt. Da die spezifisch aristokratischen Akzente des Programms fehlen, muß man hier eher mit einem kirchlichen Auftraggeber rechnen.

Durch die festgestellten Unterschiede zeigte sich wiederum die Fruchtbarkeit des methodologischen Prinzips der konsequenten Beachtung der Individualität der einzelnen Phänomene auch für die streng geordnete mittelalterliche Kultur. Anhand aller untersuchten Beispiele wurde aber auch der deutliche Abstand der sakralen Sphäre zur profanen alltäglichen Erfahrung gezeigt. Da aber dieser Abstand nicht absolut war, sondern vielfach überbrückt wurde, konnten die Bilder komplexe Funktionen in der zeitgenössischen Gesellschaft übernehmen.