Časopis ARS 43 (2010) 2

Jozef MEDVECKÝ

Gottlieb Anton Galliarti inventor. Maliarska výzdoba katedrály v Nitre a jej autor
[Gottlieb Anton Galliarti inventor. Die malerische Dekoration der Kathedrale zu Nitra und ihr Schöpfer]
[Gottlieb Anton Galliarti inventor. The Pictorial Decoration of the Nitra Cathedral and Its Creator]

(Resumé)

Anfang des 18. Jahrhunderts beginnt die Expansion der österreichischen Barockkunst, die von dem konsolidierten Wiener Zentrum aus die ganze mitteleuropäische Region beherrschen wird. Vor allem nach der Unterdrückung des Rákoczi-Aufstands entstehen im Auftrag ungarischer katholischer Magnaten und Kirchenfürsten repräsentative Werke, bei denen sich viele führende österreichische Meister, vor allem die bevorzugten Wiener Baumeister, Bildhauer und Maler italienischer Herkunft, durchsetzen konnten.

Zu den ersten anspruchsvollen Unternehmen dieser Zeit zählt der Umbau und die spätbarocke Dekorierung des Inneren der Kathedrale zu Nitra/Neutra. Das altertümliche Gotteshaus wurde im Laufe der Jahrhunderte vielen Änderungen unterzogen, von denen die radikale Barockumgestaltung unter Bischof Telegdy zu Mitte des 17. Jahrhunderts von entscheidender Bedeutung war. Dadurch entstand der heutige zweischiffige Komplex mit dem Turm auf der Südseite, aufgrund der Konfiguration auch die obere und untere Kirche genannt. Wegen der exponierten Situierung auf der Spitze des Burgfelsens kam es in Kriegszeiten zu Beschädigungen, die wiederholte Reparaturen der Kathedrale bis ins 20. Jahrhundert erforderten und die Kathedrale mehr oder weniger kennzeichneten.

Ihr Inneres wirkt als typisches einheitliches Ganzes im Sinne des barocken Zusammenspiels aller Kunstgattungen, die zur Umsetzung einer einheitlichen Ideenkonzeption mit künstlerischen Mitteln dienten und mit ihrer Farbenpracht und Formenvielfalt der Marmorierung, Stuckatur und der bildhauerischen sowie malerischen Dekoration beeindruckten. Obwohl die Absicht des Auftraggebers die Errichtung eines derartigen Ganzen gewesen war, ist die Innendekoration, wie sie erhalten ist, in Wirklichkeit ein Konglomerat von Werken von verschiedenem Niveau und Provenienz, die im Laufe der Zeit bereits mit einer anderen künstlerischen Auffassung und Konzeption geschaffen wurden. Am kompaktesten und der ursprünglichen Intention am meisten entsprechend ist das einheitlich realisierte Presbyterium der oberen Kirche mit dem Hauptaltar und einem Freskengewölbe, dessen Dekoration als Bestandteil einer groß angelegten spätbarocken Umgestaltung der Kathedrale in den Jahren 1711 – 1732 unter dem Bischof Ladislaus Adam Graf von Erdődy, seit 1706 Bischof und Obergespan von Nitra sowie ungarischer Kanzler, entstand. Im westlichen Teil des Schiffes der sog. oberen Kirche wurde damals ein Orgelchor (datiert 1712) erbaut und die Dekoration des Presbyteriums mit dem Hauptaltar bis 1720 fertig gestellt. In der Form „in picturis et omni ornatu“ wurde auch die untere Kirche adaptiert. Der Gesamtumbau und die daran anschließende innere Dekoration der oberen und unteren Kirche wurde noch zu Lebzeiten des Bischofs fertig gestellt und die Altäre am 5. Juli 1732 geweiht.

Archivdokumente und relevante Quellen wurden bis jetzt nicht aufgefunden. Die Grundfragen bleiben offen und das anspruchsvolle Ideenkonzept des Auftraggebers muss allein auf Grund der erhaltenen Werke – deren Schöpfer, also Bildhauer, Stuckateure, Marmorierer und weitere Spezialisten, Künstler und Handwerker, Gestalter von einzelnen Teilen der inneren Dekoration, anonym bleiben, rekonstruiert werden. Unbekannt ist auch der Planer des Barockumbaus, ebenso wie die Schöpfer des monumentalen Säulen-Hauptaltars mit Steinstatuen von Heiligen in Überlebensgröße und einer zentralen Figurengruppe mit Christus, dem Erlöser auf einer Wolke, getragen von einem Engelpaar, die am Ende des Presbyteriums vor dem Jahre 1720 aufgestellt wurde (geweiht erst mit den Nebenaltären im Jahre 1732). Von den Künstlern und Handwerkern, die vom Bischof Erdődy in Nitra engagiert wurden, kennen wir dank der Signaturen wenigstens den Namen des Malers Gottlieb Anton Galliarti/Galliardi (1688/1689, Steyr – 1728, Wien), den Urheber der Fresken am Gewölbe der oberen und unteren Kirche, des in die Dekoration an den Wänden eingesetzten Zyklus von Ölgemälden sowie der Bilder des Seitenaltars.

Die Fresken und Altarbilder in der Schlosskapelle von Veľký Biel/Magyarbél (erbaut für den Bischof Graf Emerich Csáky nach einem Projekt von An¬ton Erhard Martinelli in den Jahren 1722 – 1725), ein weiteres Werk Galliartis, wurden zerstört. Über seine Tätigkeit in Wien ist nichts bekannt; seine bis jetzt einzige bekannte in Wien erhaltene Arbeit ist das Ölgemälde Die Verherrlichung des Hl. Romuald aus der damaligen Kamaldulenserkirche auf dem Kahlenberg, signiert und datiert 1727. Die Arbeiten von Nitra sind die einzigen erhaltenen Monumentalwerke dieses unbestritten talentierten Meisters, von dessen Fähigkeiten auch die Qualität der Gewölbemalereien zeugt, die mit der hochwertigen Technik des echten „italienischen“ Freskos auf dünnschichtigem Putz angefertigt wurden und ihr intensives Kolorit nach der Entfernung der minderwertigen Übermalungen und der Restaurierung beibehielten.

Über die Ausbildung der Barockfreskanten wissen wir allgemein sehr wenig. Es ist sicher, dass junge Adepten die Freskotechnik bloß durch ein Werkstattpraktikum auf dem Gerüst bewältigen konnten. Ein Freskomaler war auch Galliartis Vater, Giovanni Antonio Galliardi (1657 – 1692), der traditionell als Schüler von Carpoforo Tencalla galt (in Wirklichkeit blieb der junge Maler 1684 bei Tencalla in Passau kaum drei Monate, und seine eigenen Fresken nach der Rückkehr nach Kremsmünster weisen auf keine gründliche Vorbereitung hin). Die Annahme, dass Gottlieb Anton die Grundlagen der Freskomalerei bei seinem Vater lernte, kommt nicht in Frage. Als Giovanni A. Galliardi nach der Übersiedlung der Familie aus dem oberösterreichischen Steyr nach Wien im Jahr 1692 starb, war Gottlieb Anton nur ein kleiner Junge und es ist nicht bekannt, wer sein Tutor hätte sein können, bzw. bei welchem der Austro-Italiener er anfing. In der Zeit der Arbeiten in Nitra war er bereits ein selbstständiger, in den Kreisen der Wiener Künstlerkolonie etablierter Meister. Die Aufzeichnungen der Wiener Matrikeln sind die einzigen Angaben zu der bürgerlichen Existenz des Malers, der sich mit seiner Familie in der Wiener Vorstadt Josefstadt niederließ. Nach der Fertigstellung des Freskos im Presbyterium in Nitra heiratete er am 5. Oktober 1720 die Tochter von Martin Kranawotter, der Obereinkäufer der Kaiserin Amalie war. In den folgenden Jahren wurden die Taufenpaten der Kinder eingetragen, die bald starben (1721 wurden Georg Raphael Donner mit Gattin eingetragen; Galliartis Schwager war z.B. auch ein weiterer Künstler, Hofbildhauer Lorenzo Mattielli).

In den 1720er-Jahren bekam Galliarti offensichtlich schon größere Aufträge, zu denen er Mitarbeiter und Helfer bestellte. Ein überwiegender Anteil der Arbeit seiner Werkstatt ist auch bei den Ölmalereien in Nitra anzunehmen. Am wahrscheinlichsten, aber nicht urkundlich ausdrücklich belegt, ist die Beteiligung des Tirolers Joseph Kurtz (1692 – 1737), der später auch für die Kamaldulenser auf dem Zobor arbeitete. Auch der junge Davide Antonio Fossati (1708 – 1779) hätte seiner eigenen Biographie nach im Jahre 1727 mit Galliarti bei nicht näher spezifizierten Aufträgen zusammenarbeiten sollen. Ob diese Zusammenarbeit tatsächlich stattfand, ist nicht bekannt, da der 39-jährige Kunstmaler Galliarti am 21. Jänner 1728 in Wien starb.

Galliartis Gewölbefresken blieben im Presbyterium (im Unterschied zur unteren Kirche, wo sie nur am Kuppelgewölbe mit einer Laterne über dem Szelepcsényi-Altar erhalten blieben) relativ intakt. Die an den Hauptaltar anschließenden Gewölbefresken mit Engelsgruppen auf Wolken werden auf dem Gewölbe des Presbyteriums fortgesetzt, das von einer in eine dekorative Umrahmung in Form eines verlängerten Quadrilobs mit Blumenfestonen und -vasen eingesetzten Szene mit dem Hl. Stephan, der das Königtum unter dem Schutz der Hl. Maria einweiht, die im Himmel von der Hl. Dreifaltigkeit verherrlicht wird, aufgefüllt wird (Signatur „G: A: Galiarti / invent. 1720“). Ein Pendant dazu war ein Fresko mit der Verherrlichung des Hl. Emmeram am Langhausgewölbe, das jedoch Mitte des 18. Jahrhunderts zugrunde ging, als dieser Teil infolge statischer Störungen eingewölbt werden musste.

Die prächtige Dekoration der Kathedrale sollte nicht nur die Ansprüche des barocken Decorums erfüllen. In der malerischen und plastischen Dekoration wurde schrittweise ein einheitliches ikonographisches Programm verwirklicht, das mit Christus, dem Erlöser und den Heiligen – den Patronen des Landes (Maria als Patrona Hungariae, die ungarischen Könige Stephan und Ladislaus), der Bischofskirche und der Diözese (Hl. Emmeram, Bischof und Märtyrer; die Einsiedler Hl. Andreas-Zoerardus, der Bekenner, und Hl. Benedikt, Märtyrer) verbundenist und in der Reliefdekoration des Orgelchors wiederholt wird(Hl. Dreifaltigkeit, Hl. Stephan und Hl. Ladislaus, Zoerardus und Benedikt). Es ist bekannt, dass der Bischof Kanzler Graf Erdődy die Idee der Altertümlichkeit des Nitraer Bischofstums durchsetzte und durch das Dekorationsprogramm der Kathedrale präsentierte. Gleichzeitig nutzte er sein Amt zur Bestätigung der Legitimität seines Geschlechts (und seiner von Thomas Bakócz von Erdőd abgeleiteten Tradition) und dessen Bedeutung im Rahmen der historischen und kirchlichen Tradition des Landes und Bischofstums. Neben den Widmungsaufschriften und Bischofswappen, die in die Kirchendekoration einkomponiert wurden, waren das auch die barockisierte Idee Regnum Marianum, vergegenwärtigt durch die Gestalten im Zeitgewand aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts und die im Hintergrund der Szene am Gewölbe des Presbyteriums einkomponierten Portraits der Erdődys – des damals 43-jährigen Ladislaus Adam und des hinter ihm stehenden jüngeren Bruders des Bischofs Georg Leopold, ab 1720 Präsident der Ungarischen Königskammer, ohne dessen Hilfe so ein ambitioniertes und finanziell aufwendiges Unternehmen nur sehr schwer realisierbar gewesen wäre (der jüngste der Brüder Gabriel Anton Erdődy, seit 1715 Bischof zu Erlau/Eger, fehlt).

Die Pracht und die sinnliche Wirkung der Kirchenkunst nach dem Konzil von Trient, welche die Frömmigkeit der Gläubigen anregten, sowie große Vorbilder des triumphierenden Barocks hatte der Bischof Erdődy vor den Augen, als er sich daran machte, das Innere seiner bischöflichen Kathedrale umzugestalten. Inspirieren ließen sich auch die Künstler in seinen Diensten, die an der Umsetzung seiner Idee mit architektonischen, malerischen und bildhauerischen Mitteln beteiligt waren. Es ist selbstverständlich, dass die malerische Dekoration die Errungenschaften der italienischen Kunst reflektiert. In Galliartis Deckenmalereien lassen sich viele solche Anregungen identifizieren, die ihm graphische Vorlagen vermittelten und die er – wie es üblich war – bei der Gestaltung seiner Szenen benutzte. Das Spektrum der benutzten Vorlagen und ihre Behandlung können die Orientierung, das Profil und die Fähigkeiten des Malers offen legen. Auch in Galliartis Umgang mit den Vorlagen können wir alle üblichen „modi“ feststellen – die Übernahme als Ganzes, angepasst an das notwendige Format, oder es werden nur einzelne Figuren übernommen wurden. Galliarti übernahm ganze Gestalten und Motive, sogar ganze Figurengruppen aus Werken mit demselben Thema; er benutzt sie allerdings auch ohne Rücksicht auf die Ikonographie, indem er sie in einen neuen Kontext setzte. Er ließ sich von relativ aktuellen Werken seiner Zeitgenossen sowie fast hundert Jahre alten Vorlagen inspirieren, wobei selbstverständlich italienische Werke eindeutig dominierten; Galliartis Deckenmalereien stellen schlechthin eine Antologie von „Zitaten“ berühmter Fresken aus der Zeit des römischen Hochbarocks dar(G. B. Gaulli, C. Maratti, C. Ferri, G. Lanfranco).

Symptomatisch ist aber die Komposition der Anbetung der drei Könige aus dem Zyklus der monochromen marianischen Szenen, die in die Umrahmung der Zentralszene am Gewölbe einkomponiert wurde und die er sogar ein zweites Mal – in reduzierter Form, im Ölgemälde aus dem Zyklus an der Südwand des Presbyteriums (signiert als „Gottlieb Antoni Galiarty inuent. 1720“), malte. Obwohl es sich hier um die eindeutige Übernahme einer ganzen Komposition handelt, die seitenverkehrt von einer fremden Vorlage übernommen wurde (in diesem Fall geht es um die Malerei von Simon Vouet aus dem Jahre 1638, die von Louis Dorigny reproduziert wurde), erachtete er sie offenbar schon als seine eigene, obwohl die Modifikationen in beiden Fällen (Fresko und Ölgemälde) geringfügig und die Herkunft der Einheit deutlich ist. In diesem Sinn wurden die Neutraer Werke von ihm als inventor signiert.

Übersetzung ins Deutsche von Eva Gruber